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Startschuß

Es ist so weit. Mein Leben hat in letzter Zeit mehrere radikale Wandel hingelegt. Langsam kommt es in geregelte Bahnen und im Grunde bin ich zufrieden so, wie es gerade läuft. Für das lesefaule Volk unter euch geht es hier nicht weiter, dieser Beitrag wird ausladend, und das ist gut so. Ich muss mir den aktuellen Verlauf aus dem Kopf schreiben.

Winter

Im letzten Herbst zeichnet sich ab, dass ich mein Studium, nicht zum Abschluss bringen kann. Ungeheuer kurz vor dem Ende kommt mir ein alter Bekannter in den Weg, der mich von Beginn an auf Trab gehalten hat. Mathematik.

Mit nur vier offenen Prüfungen stehe ich in einem Scherbenhaufen der Gefühle und Unsicherheiten als ich erfahre, dass ich – wieder einmal – durch diese dämliche Prüfung gerasselt bin. Kurze Zeit später trage ich den Termin für die mündliche Prüfung in meinen Kalender ein und lasse alles andere links liegen. Meine restlichen offenen Prüfungen, meine – gewissermaßen – beruflichen Verpflichtungen und in unbestimmter Weise auch mich selbst, meine Freundin, meine Familie sowie meine Freunde. Jeden Tag auf’s Neue bin ich schlecht gelaunt und quäle mich, den Stoff irgendwie in meinen Schädel zu bekommen. Jeden Tag stehe ich widerwillig auf, nachdem ich die Nacht über kaum ein Auge zugemacht habe, mit Gedanken in der Vergangenheit, in der Zukunft, aber nicht in der Gegenwart. Jeden Tag setze ich mich an den Schreibtisch und öffne die Bücher, breite die Arbeitsblätter und vergangenen Prüfungen vor mir aus. Jeden Tag durchlebe ich die Phasen der Agonie. Jeden Tag. Für sechs Wochen. Stress, Angst und Selbstzweifel.

Pepsi zu ihren besten Zeiten

Im Rückblick auf das Geschehene sind die vergeigte Prüfung und die letzten Worte des Prüfers »Viel Erfolg weiterhin.« ein Befreiungsschlag für die Seele, sozusagen ein Öffnen des Käfigs. Das sehe ich zu der Zeit nicht so. Ich rege mich auf über die letzten Worte, die knappe Entscheidung unter den Prüfern, meine Begriffsstutzigkeit, meine Dröhmeligkeit in den Semestern davor. Kurzzeitig rase ich in eine Blockade aus Selbstmitleid. Ich denke noch gar nicht daran, wie ich meinen Eltern erklären soll, dass ich gescheitert bin und bei ihnen Obhut suchen muss.

Heimat

Es ist für mich ein harter Kampf die liebgewonnene Freiheit, das selbstständige Wohnen und die Freiheit, so zu leben, wie es mir zusagt, aufzugeben und bei meinen Eltern Asyl zu ersuchen. Viel schlimmer aber ist die Angst davor mit Mitte zwanzig ohne irgendetwas relevantes erreicht zu haben und jeden zu enttäuschen da zu stehen. Nach all der tatkräftigen Unterstüzung in den vergangenen vier Jahren habe ich mit starker Enttäuschung und gedämpfter Stimmung gerechnet, nicht aber mit einem unkomplizierten, offenen Umgang mit meinen verschenkten Jahren.

Im Elternhaus angekommen bin ich nach wie vor geknickt und brauche dringend Hilfe um über den Sturz ins Ungewisse hinwegzukommen. Gerade meine langjährige Freundin und mein bester Freund sowie seine Familie geben ihr Bestes. An offenen Ohren, großen Herzen und Seelentrost scheitert es in dieser Zeit ganz sicher nicht. Erst in einer Situation wie dieser merkt man – und wenn es abgedroschen klingt – wer zu einem steht und sich kümmert, auch wenn man nicht unbedingt darübe reden kann oder will, wie es einem geht. Lustigerweise hilft jeder auf seine sehr eigene Art. Der Eine still und im Hintergrund, der Andere aktiv und mit Ablenkung, der wieder Andere mit vollem Einsatz und dem Schlag in die Fresse.

Gedankenspiele

Schon weit vor der versemmelten Prüfung ärgern mich unruhige Nächte. Gut drauf bin ich schon lange nicht mehr und das merkt man mir an. Ich frage mich was ich mache, wenn ich das Studium nicht bestehe. Mit einer fachlichen Fachhochschulreife, einer vier Jahre alten Ausbildung ohne Berufserfahrung und haufenweise abgeschlossenen Modulen, jedoch ohne Zeugnis, steht man blöd da. Um so glücklicher kam es dann.

Frühling

Ironischerweise passen die Jahreszeiten gut zu dem Gefühlsverlauf. Nachdem der Winter sich als Fiasko in Reinkultur entpuppt hat bin ich um so zufriedener, wie es weiter geht. Nach all dem betreuten Leben und dem vermeintlichen Todesstoß in 2012 habe ich Mitte Dezember ein Vorstellungsgespräch für einen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst. Ich bin gut vorbereitet, schreibe einen Fragenkatalog zusammen und sauge alles auf, was ich finde. Dennoch bin ich unsicher und nervös, vergesse die Hälfte von dem was ich mir zurechgelegt habe oder bringe es nicht so rüber wie es gemeint ist. Mit einem guten Gefühl gehe ich definitiv nicht aus dem Gespräch. Wider Erwarten erhalte ich zwischen den Feiertagen einen Anruf aus der Personalabteilung. Völlig außer Atem gehe ich als Umzugshelfer in den fünften Stock an mein Handy und erhalte die Zusage. Ein schöner Moment. Ich bin glücklich, mein Vater ist zufrieden, meine Mutter freut sich, ebenso meine Schwester und insbesonders meine Freundin.

Neustart

An das Arbeitsumfeld gewöhne ich mich zügig, auch wenn ich mich umgewöhnen muss. Eine so entspannte Atmosphäre kenne ich nicht. Bisher gab es fixe Termine, die eingehalten wurden, eng gesetzte Termine. Der Spielraum ist größer geworden. Einzig das frühe Aufstehen morgens um 5:00 Uhr schlägt zeitweise auf’s Gemüt, erst recht, wenn es noch finsterste Nacht ist.

Mittlerweile bin ich ein Jahr in dem Laden und mein Aufgabengebiet hat sich um mehr Verantwortung erweitert, was gut ist. Ich will arbeiten und gerne auch planen und konzeptionieren. Gerade das macht mir Spaß und ich mache es gerne. Ich bin durchaus gespannt, wo die Reise hingeht.

Im April fasse ich zwei Entschlüsse. Zum Einen verkaufe ich mein liebgewonnenes Auto nach 180.000 km und schaffe mir einen Jahreswagen an. Ich sage es nicht gerne, aber es wurde dringend Zeit. Der Motor machte Probleme, Rost hinten und vorne, Verschleiß ohne Ende und der gewohnte Null-Komfort. Nach einem dreiviertel Jahr mit Schlaubi Schlumpf möchte ich nicht mehr auf Servolenkung, elektrische Fensterheber, Zentralverriegeleung, Licht- und Scheibenwischautomatik, Sitzheizung, Navi und Lenkradfernbedienung verzichten. Ein himmelweiter Unterschied.

Zum Anderen beginne ich im kommenden Sommersemester einen erneuten Versuch, ein Studium abzuschließen unter der Prämisse, dass ich neben dem Berufsalltag Zeit dafür finde und zumindest ein Teil der schon bestandenen Module angerechnet wird. Ein Vollzeitstudium wird es ganz sicher nicht wieder.

Zuhause

Der größte und wohl wichtigste Schritt in diesem Jahr ist aber die gemeinsame Wohnung mit meiner Freundin nach jahrelanger Fernbeziehung. Die Jahre zuvor haben wir einfach zu weit auseinder gewohnt, um täglich zu fahren. Im August war es so weit, unser eigenes kleines Reich. Ich bin zufrieden. Ich wusste, dass ich auch in den eigenen vier Wänden gut mir ihr auskomme und dass es ein gemütlicher Rückzugsort wird.

Bester Fang

Bis dahin war es aber ein weiter Weg. Mehrmals im Monat, fast jedes Wochenende und unter der Woche sowieso haben wir die Möbelhäuser abgeklappert und konnten uns anfangs nicht einig werden. Gerade aber die Sachen, bei denen wir dachten, dass wir nie auf einen Nenner kommen, haben wir zuerst besorgt. Mittlerweile fühle ich mich wohl in der neuen Umgebung. Ich verbringe gerne meine Freizeit hier und auch mit ihr.

Sport

Oh ja. Auch das hat mir geholfen, das ganze zu verarbeiten. Im Sommer 2011 direkt nach dem Schützenfest hatte ich das erste mal eine Regatta im Drachenboot. Ein Sport, der richtig Spaß macht, wenn man im Ziel ankommt. Der Weg dahin ist die reinste Plage, aber so muss es sein. Blöd nur, dass der Sport für den Winter weniger geeignet ist. Zusätzlich war ich seit 2009 im Fitnesstudio angemeldet und mindestens zwei Mal die Woche da. Die Abende, die ich mich ausgepowert habe, waren die Einzigen, an denen ich eine ruhige Nacht hatte. Blöd nur, dass das Studio im März 2012 dicht machen musste und nur noch das Drachenbootteam blieb. Noch blöder, dass das Team am Ende kein richtiges Team war. Lange Zeit hörte man nichts von neuen Trainigsterminen, Regatten wurden verschoben oder abgesagt, es waren immer die selben Leute beim Training, obwohl andere auch zugesagt haben und ein Boot hat man nie mit eigenen Leuten voll bekommen. Seit diesem Sommer bin ich da raus, das machte so keinen Spaß mehr.

Umso wichtiger, dass ich seit Mitte November wieder im Fitnessstudio angemeldet bin. Es tut so gut, zu merken, das der Körper arbeiten musste, dass die Muskulatur sich stärkt und man wieder länger ruhig sitzen kann, besser schlafen, ausgeglichener ist. Da sind die stundenlangen Spaziergänge durch den Schnee und die Kälte im Winter ein Witz gegen.

Dennoch, nach 3 Stunden reinem Schreiben wird es Zeit für das Résumé.

Résumé

In dem vergangenen Jahr, denn im Grunde ist es ein Jahresrückblick auf den Tag genau, hat sich in meinem Leben einiges geändert. Ich musste einige große Schritte machen, aus dem Quark kommen und mir anfangs selbst in den Arsch treten und treten lassen. Im Großen und Ganzen war es ein gutes Jahr. Neue Leute. Neue Freunde. Alte Laster abgelegt. Perspektive und sicheren Stand geschaffen. Gutes Jahr.

…so long and thanks for all the fish

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Veröffentlicht in Gedankengut